Politisches Denken und gesellschaftliche Prozesse traten in der Nachkriegszeit in unterschiedlicher Form in Erscheinung. Die Frankfurter Schule und die 68er Bewegung gehören zu den prägenden Phänomenen dieser Jahre in Frankfurt. Eine neuartige Verbindung von Kunst und Politik, welche sich zunächst im Erscheinungsbild der Frankfurter Universität niederschlug und später auch die progressive Kunstszene bestimmte, wird hier anhand einiger Werke des Architekten und Designers Ferdinand Kramer und der bildenden Künstlerin Charlotte Posenenske beleuchtet.
Ferdinand Kramer, 1898 in Frankfurt geboren, wuchs hier auf, studierte in München und kurz auch in Weimar am Bauhaus. Schon während seines Studiums interessierte er sich für soziales Wohnen. In den 20er Jahren unterrichtete er an der Kunstschule Frankfurt und machte sich als Designer einen Namen. Für die größte, sozial orientierte Baustelle in Europa dieser Zeit, der Ernst May Siedlung, entwarf er u.a. einen energieeffizienten Ofen. Das Bauprojekt sollte nicht nur den Wohnungsmangel beheben. Effizientes und zugleich attraktives Design sollte im Alltag nützlich sein und den Lebensstandard verbessern.
Das Besondere an Kramers Design ist vor allem, dass es das spielerische Kombinieren der Elemente ermöglicht. Lange vor Ikea also, erfand Kramer ein Design, das auf die neue Lebensweise regierte, indem es Flexibilität, Mobilität und Selbstbestimmung versprach. Nachdem die Nationalsozialisten die Macht übernommen hatten, emigrierte Kramer in die Staaten, kehrte aber, wie sein Jugendfreund Theodor W. Adorno, bereits einige Jahre nach Kriegsende zurück. 1952 wurde er von Max Horkheimer zum Baudirektor und damit zum Wiederaufbau der von Bomben schwer getroffenen Universität berufen.
Kramers moderne Architektur, der Einsatz industrieller Produktionsweisen und neuer Techniken ermöglichte es in kürzester Zeit und trotz beschränkter finanzieller Mittel wieder Raum für Wissenschaft und Lehre zu schaffen. Kramer beurteilte den technischen Fortschritt positiv, da sich die Kosten durch industrielle Fertigung senken ließen, was nicht nur das sozialmotivierte „Neue Frankfurt“, sondern auch das dreiundzwanzig Neubauten und zahlreiche Umbauten umfassende Großprojekt „Universitätsstadt“ überhaupt erst möglich machte.
Kramers Bauweise war nicht nur innovativ und kostengünstig. Seine Formsprache war Ausdruck eines neuen Denkens. Sie stand für demokratisches Denken und den Bruch mit Tradition und Repräsentation. Eine der ersten Aktionen Kramers war der Abriss des engen, neobarocken Tores des Jügelhauses, welches er durch einen sieben Meter breiten, schlichten Glaseingang ersetze. Der neue Eingang sollte Transparenz und Öffnung einer neuen, demokratischen Universität signalisieren. Der Eingriff provozierte und wurde heftig kritisiert. Kramer wurde in der lokalen Presse als „Barbar“ und „Glattmacher“ bezeichnet.

Als Reaktion schickte Kramer einem seiner Kritiker den Fuß einer Fassadenfigur des Jügelhauses, mit Botschaft.
Die Frankfurter Universität, die nicht nur Raum für Wissenschaft und Lehre bot, sondern auch für Protest und studentische Organisation, wurde in den 60er Jahren zum Schauplatz progressiver Kunst. (siehe Artikel über die Studiogalerie im Studentenhaus) Zu den Protagonisten der damaligen Kunstszene gehörte die bildende Künstlerin Charlotte Posenenske.
Charlotte Posenenske, 1930 als Tochter eines jüdischen Vaters in Wiesbaden geboren, überlebte den Krieg, weil sie versteckt worden war. Sie studierte später bei Willi Baumeister. Von Baumeister, der mit Kramer eng befreundet war, hatte Posensenke sicherlich schon von dessen Innovationen gehört. Persönlich lernten sich Posenenske und Kramer erst über ihren Mann, den Architekten Paul Posenenske, kennen. Posenenske interessierte sich für das sozialmotivierte „Neue Frankfurt“ und war von Kramers Formensprache beeindruckt.
Wie Kramer stand auch Posenenske dem technischen Fortschritt grundsätzlich positiv gegenüber, da industrielle und damit kostengünstigere Produktionsweisen die Lösung sozialer Missstände versprachen. Und wie Kramer versuchte Posenenske einen kreativen Umgang mit industriell hergestellten Produkten anzuregen. Serialität, Einfachkeit und Veränderbarkeit kennzeichnen die Werke beider. Posenenskes Interesse für Architektur bestimmte ihr künstlerisches Schaffen. Die Malerin verließ im Laufe der 60er Jahre mehr und mehr die Wand. Zunächst formte sie Reliefs aus farbig monoton lackierten Stahlblechen oder Aluminium, die sie in Serie, zunächst an der Wand und bald auch in den Raum gestellt, präsentierte. 1967/68 stellte sie Installationen aus industriell hergestellten Serien von Bauelementen aus Blech oder Pappe her.
Industrielle Fertigung und kostengünstige Materialien stellten nicht nur die Originalität des Kunstobjekts in Frage, sondern sollten auch seine Verbreitung erleichtern. Posenenskes letzte Arbeit, bevor sie die Kunst aufgab und Soziologie studierte, die Drehflügelserie kommt der Architektur am nächsten. Im Gegensatz zu Kramers modernen Glaseingang, sind diese Türen aber nicht Öffnung eines Gebäudes. Der Betrachter tritt ein und zugleich hinaus. Er kann die Flügel bewegen und entscheidet ob er sie öffnet oder schließt, kurz: er gestaltet.

Posenenske suchte nach neuen Orten für ihre Kunst. Sie verließ die Galerie und präsentierte ihre begehbare Installation Drehflügel im öffentlichen Raum. Die Abbildung zeigt die vier Quadratmeter einnehmende Installation „Große Drehflügel Serie E“. Posenenskes Drehflügel sind begehbare Installationen. Das war 1967 noch völlig neu. Posenenske gehörte zu den Progressiven der damaligen Kunstszene. Sie war mit Peter Roehr und Paul Maenz befreundet. Werke von Posenenske und Roehr wurden bereits zusammen präsentiert und im Hinblick auf gemeinsame künstlerische und politische Ideen diskutiert. (meines Wissens zuletzt in Wiesbaden im Sommer 2012) Posenenskes Idee des veränderlichen Kunstwerks, mit der sich Umberto Eco bereits 1962 in seiner Schrift „Das offene Kunstwerk“ theoretisch auseinandersetzte, ist in der üblichen Ausstellungssituation, in der die Vierkantrohre meist als statische Installation präsentiert werden, nicht mehr erkennbar.

Dieses Foto von Abisag Tüllmann zeigt Posenenskes Vierkantrohre als Objekte einer Performance, die im Rahmen des von Roehr und Maenz initiierten Happenings „Dies alles Herzchen wird später einmal Dir gehören“ am 9. September 1967 stattfand. Acht Künstler, darunter auch John Johnson, Richard Long und Peter Roehr beteiligten sich an dem Happening. Einen Abend lang inszenierten sie in der Galerie Loehr in Niederursel simultan, aber unabhängig voneinander „vergängliche Situationen“.
Sehenswerte Ausstellung: „Das Prinzip Kramer. Design für den variablen Gebrauch“ vom 06. Februar – 07. September 2014 im museum angewandte Kunst Frankfurt
Bildnachweis:
Abb. 1: altes Portal des Jügelhauses und Eingang von Ferdinand Kramer, copyright: Universitätsarchiv Frankfurt
Abb.2. Zeitungsartikel aus der Pressesammlung des Universitätsarchivs
Abb. 3: Sandsteinfuß, copyright: KRAMER ARCHIV
Abb. 4: Charlotte Posenenske mit „Große Drehflügel Serie E“, copyright: Gabriele Lorenzer-Walter
Abb. 5: Charlotte Posenenskes Vierkantrohre beim Happening „Dies alles Herzchen wird später einmal Dir gehören“, copyright: Abisag Tüllmann/bpk