Drei durchgebrochene, im Raum aufgestellte Betonplatten bilden einen Bogen, der durch die Ausstellung führt. Auf der äußeren Seite sind sie glatt, mit Spritzern aus Gips marmoriert. Auf der Innenseite verläuft horizontal ein raues Linienrelief: Der Abdruck trockener Schilfhalme. „Schilf ohne Wasser“ ist nicht nur der Titel dieser Objekte, sondern auch der aktuellen Ausstellung in der Galerie Heike Strelow, mit der die neusten Arbeiten des Künstlerduos Wiebke Grösch und Frank Metzger vorgestellt werden. Neben den Skulpturen aus Beton präsentieren Grösch/Metzger mehrere Installationen und Zeichnungen.
Ausstellungsansicht „Schilf ohne Wasser“, Foto: Grösch / Metzger
„Schilf ohne Wasser“ ist ein literarisches Bild, das die konzeptuell arbeiteten Künstler Dietmar Daths Roman „Die Abschaffung der Arten“ entnommen haben und in ein anderes Medium übertragen. Die Kontextverschiebung von sprachlichen Konstrukten aber auch von vorgefundenen Objekten gehört zur Strategie des Künstlerduos, das den Dingen gerne auf den Grund geht. Ausgehend von einer Metapher, die zwei scheinbar gegensätzliche Vorgänge: Wachstum und Zerstörung beinhaltet, verbinden Grösch/Metzger in ihren Betonskulpturen durch die unterschiedlichen Oberflächen von Innen und Außen ebenfalls Gegensätzliches. Es ist jedoch die Zerstörung, der Bruch des zuvor erstarrten Materials, der aus den Platten im Raum stehende Objekte werden lässt. Mit einer simplen Geste liefern die Künstler damit einen plastischen Beweis für den Kreislauf aus Werden, Wachstum, Niedergang, Zerstörung und Wiederaufbau.
Ausstellungsansicht „Schilf ohne Wasser“, Foto: Grösch / Metzger
Grösch/Metzger sind bekannt für ihre künstlerische Forschung zu den Themen Urbanismus und Soziokultur. Für „Schilf ohne Wasser“ bedienen sie sich eines archäologischen Verfahrens. Der Abdruck wird von den Künstlern aber weniger zur Sicherung und Untersuchung von Überresten vergangener Zivilisationen eingesetzt, als mehr zur Reflexion gegenwärtiger Verhältnisse. Mit dem Abdruck von Schilf in Beton thematisieren Grösch/Metzger nicht nur die Verschiebung von natürlichen zu künstlich hergestellten Baustoffen, sondern sensibilisieren auch für deren unmittelbare Auswirkungen auf den sozialen Raum.
Industrielle Herstellungsweisen und technische Neuerungen sorgen für tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen. Immer deutlicher wird diese Entwicklung als Beschleunigung aller sozialer und wirtschaftlicher Vorgänge wahrgenommen. Wie ein Kommentar auf unser unübersichtlich gewordenes, kaum mehr zu kontrollierendes Finanzsystem lassen sich die auf Papier versprengten, blauen Abdrücke von Kreditkartensplittern lesen. Bewusstsein für die Unbeständigkeit gegenwärtiger Ordnungen spiegelt sich vor allem in der Zerbrechlichkeit der installativen Arbeiten wieder. Insbesondere im Fall des zum Kubus geschichteten Laubhaufens scheint die Auflösung der konstruierten Form unvermeidlich. Grösch/Metzger schichten auch Glasplatten übereinander. Die unterschiedlichen Blautöne der an die Wand gelehnten Gläser ergeben eine Tiefe, die an Wasser oder vielmehr an dessen Abwesenheit denken lässt. Ebenso wie farbige Gläser gehört auch die mehrfach gebrochene Betonstange, die von einem Metallband im Inneren zusammengehalten wird, zum visuellen Vokabular des Duos. Statt die Gläser zu stützen, wie in früheren Arbeiten, hängt sie nun an der Wand. Es scheint fast so als hätten die Künstler ein fertiges Werk abgelegt, um das zugrundeliegende Prinzip in anderen Formen neu zu erproben.
Ohne Titel, 2014 Gips und Metall, 223 × 288 × 2 cm , Foto: Grösch / Metzger
Ebenfalls an der Wand lehnt ein Glasstab aus dem eigentlich Linsen für Mikroskope geschnitten werden sollten. Indem Grösch/Metzger dem Glasstab, der heute nicht mehr produziert wird, eine Klarsichthülle überstülpen, kommentieren sie – nicht ohne Ironie – das unermüdliche Bestreben des Menschen seine Erzeugnisse zu dokumentieren und zu archivieren und hinterfragen damit auch den Wahrheitsanspruch heutiger Ordnungssysteme.
Die Raumstadt, 2013, Kinderzeichnungen mit Bunt- und Filzstift auf Buchseiten, Jeweils 25 × 34 cm, Foto: Grösch / Metzger
Das Projekt „Raumstadt“ gehört zu den „performten Readymades“ des Künstlerduos. Kein industriell hergestelltes Objekt, sondern die Vision eines Stadtplaners bildet den Ausgangspunkt für die künstlerische Aktion. Zum Ausmalen, Übermalen und Ergänzen überließen Grösch/Metzger einer Schulklasse die veröffentlichten Aufzeichnungen des Architekten Schwagenscheidt, der in den 1920er Jahren im Team von Ernst May das Neue Frankfurt mitbaute und später in den 1950er Jahren mit dem Projekt „Raumstadt“ die Nordweststadt gestaltete.
Sowohl die einzelnen Werke als auch ihre Zusammenstellung lassen eine komplexe Vernetzung von Inhalten erkennen. Der Bruch als übergreifendes Stilmittel verbindet eine aktivierende Kraft mit dem Moment der Reflexion. Er steht zum einen für den aktiven Neuanfang als Möglichkeit des politischen Handelns und verweist zugleich auf naturgegebene Prozesse. Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen geht einher mit der Reaktivierung und Fortführung künstlerischer Konzepte vor allem der 1960er und -70er Jahre, die in der Kunst einen Neubeginn und Bruch mit der traditionellen Kunstauffassung darstellen.
Wiebke Grösch und Frank Metzger leben und arbeiten in Frankfurt am Main. In den 1990er Jahren studierten sie an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main und an der Akademie der bildenden Künste in Wien und realisierten seitdem mehrere Projekte im öffentlichen Raum. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellung in Deutschland und weltweit, wie z.B. aktuell im Blaffer Art Museum in Houston/Texas, zeigen das große Interesse an ihrem Werk. Seit kurzem befindet sich eine ihrer raumgreifenden Arbeiten in der Sammlung des Museums Wiesbaden.
Die Ausstellung ist noch bis zum 24.10.2014 in der Galerie Heike Strelow, Schwedlerstrasse 1-5, zu sehen.