Ein grau verhangener Sonntagmorgen. Die Bahnen waren schon vor neun mit Menschen verstopft. Tausende strömten zur Sprengung des AfE-Turms nach Bockenheim. Die meisten Schaulustigen standen an der Messe. Von dort hatte man freie Sicht auf das bisher größte Hochhaus, das in Europa gesprengt werden sollte. Die Stimmung war heiter bis aufgeregt. Schon Wochen zuvor wurden Hotelzimmer mit Blick auf den Turm gebucht, Aussichtsplätze diskutiert und Insider-Tips verbreitet. Jetzt stand man mittendrin und wartete, nutzte die letzte Gelegenheit für ein Bild mit dem grauen Riesen. Ein eigenartiges Rauschen lag in der Luft. Die Menschenmenge verhielt sich, anderes als bei Demos, Konzerten oder Fussballspielen, erstaunlich ruhig. Als das erste Mal Sirenen aufheulten, wusste man, es geht los. Blicke und Smartphonekameras wurden auf den Turm gerichtet. Die Spannung stieg. Eine zweite Sirene dröhnte in der Stille. Alle starrten auf den Turm. Nur Borofskys Hammering Man schlug gleichgültig seinen Slowmotiontakt. 10.02 Uhr. Zwei lange Sekunden Verspätung. Die dritte Sirene war schließlich das Zeichen. Der Countdown begann und klang wie ein Echo aus der Ferne. Zuerst sah man die Explosion. Ein Raunen ging durch die Menge. Sekundenbruchteile später erreichte uns die Schallwelle. Ein Kranz aus Sprengkörpern riss zuerst die graue Außenhülle herunter. Für einen Moment stand nur noch das nackte Treppenhaus, hell leuchtend wie Elfenbein, bevor es abknickte und mit einer Verbeugung im Staub versank. Begeisterung, Jubel! Mit einem so gewaltigen Abgang hatte niemand gerechnet. Der Anblick des einstützenden Gebäudes war schön und brutal zugleich, mein Körper vom Knall und der Erschütterung noch irgendwie benommen. Um uns herum strömten die Menschen schon wieder in alle Richtungen. Die meisten, die man anschließend im KOZ traf, hatten im Turm Soziologie, Politikwissenschaften, Pädagogik oder/und Psychologie studiert. Seit den 70ern kamen von hier immer wieder wichtige Impulse zum Widerstand gegen gesellschaftliche Missstände und absurde Ordnungen. Der Turm bot Raum für Reflexion und Diskussion. Angesichts des großen Leerstands in Frankfurt erschien die eilige Spreng- ung des AfE-Turms vielen wie ein Anschlag auf linkes Gedankengut. Graffitis an den Wänden, das selbstverwaltete TuCa, wie auch die Abwesenheit von Anzugträgern gehörten zu einer studentischen Kultur, die man im Westend so nicht mehr findet. Keine Frage, der neue Campus hat viele Vorzüge. Wer will die Grünflächen im Sommer, den Komfort sauberer Toiletten und funktionierender Aufzüge missen? Aber eine Universität, die wie ein Unternehmen funktioniert und ihre Studenten als Kunden begreift, übernimmt gesellschaftliche Strukturen, die zu hinterfragen, eigentlich ihre Aufgabe wäre.
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